Montag, 1. März 2010

Missionierung

Leipzig ist noch nicht wiederaufgebaut.

Überall stehen halbabgerissene oder halbverfallene Altbauten. Überall, direkt neben frisch sanierten und renovierten, heilen Häusern. Das Geld des Aufbau Osts wanderte, was man schon nach einem kleinen Spaziergang erkennen kann, direkt in den Kern der Altstadt. Aufwendig sind dort alle Bauten, ausnahmslos, wieder- oder neuaufgebaut worden. Ein blitzender, bronzener Elefantenkopf ragt aus einem Mosaik hervor, das den Namen und natürlich auch das Gründungsjahr eines alten Kaffeehauses bekannt gibt. Fast daneben steht das Museum der bildenden Künste dessen Bau sehr an ein Architekturmodell für einen modernen Glaskasten erinnert. Nur in größer.
Aber schon auf der anderen Seite dieses großen Klotzes liegt Brachland. Verlässt man den Stadtkern sieht man überall Baustellen. Und hinter diesen Baustellen? Dort ist Niemandsland.

Als ich mit meinem Mitbewohner auf unserem Balkon stand und die ersten Frühlingsstrahlen genoß, ebenso wie den Luxus nicht mehr auf eine komplett weiße Fläche zu starren, sprachen wir vom Bayrischen Bahnhof. Noch so ein ambitioniertes Projekt des sächsischen Landes: Wir bauen auf, was kaum mehr da ist! Was zur Folge hatte, dass ein playmobilartiges Ritterburgentor gebaut wurde, um mit blankpolierten, goldenen Buchstaben an einen der Anfänge des Eisenbahnverkehrs in Deutschland zu erinnern. Ein klassisches Beispiel für eine Fehlinvestition des Solidaritätsbeitrags.
Von unserem Balkon sieht man nichts davon. Eigentlich müssten wir die Krähne sehen, die dieses Meisterwerk an Künstlichkeit aus dem Boden gehoben haben, aber entweder sind sie zu klein um entdeckt zu werden oder das Hochhaus im klassisch-grauen Stil, das wir am Horizent bestaunen können, verwehrt uns die Sicht darauf. Beides wäre sehr typisch für Leipzig. Zu klein oder klassisch-grau, nicht nur bei der Architektur.

Ich habe letzte Woche einen jungen Herren in einer Bar angesprochen, er zuckte fast vor Schreck zusammen. Meinen Mitbewohnerinnen ist auch schon ähnliches passiert. Niemand rechnet hier damit angesprochen zu werden.
Warum ist hier ein so niedriges Selbstbewusstsein so weit verbreitetet?

Ich weiß es nicht. Es liegt so nah einfach alles auf die Wiedervereinigung zu schieben. Man kann nicht leugnen, dass der Ostaufbau auch gleichzeitig zerstört. Man pinselt wie am Beispiel des Humboldtforums in Berlin über die alten DDR-Klötze drüber und baut stattdessen Prunkvolles aus dem 18. Jahrhundert nach. Die Kultur der DDR wird entweder verbannt oder verklärt. Einen Mittelweg gibt es nicht wirklich, der Umgang mit dem Vergangenen bleibt ein ständiger Reibepunkt. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass hier das Thema Ost-West so groß ist, man kaum auf einer Party drum herum kommt. Die klassische Vorstellung der Standpunktaufteilung in den Köpfen ist nun einmal: Im Westen wird die DDR kleingeredet, während sie im Osten großgeredet wird. Der Westen dominiert, der Osten hält durch.
Und jetzt merken alle irgendwie, dass das nicht so stimmt. Vielleicht ist das was ich Fehlen von Selbstbewusstsein nenne, nur ein Zeichen von Unsicherheit wo man mich einordnen, wo man sich einordnen soll.

Besonders schwierig wird das, wenn es um Politik geht. Es heißt, dass im Osten die Neonazis so großen Zulauf haben, aber Leipzig ist defintiv die Stadt der extremen Linken. Das auch auf die Geschichte und somit auf eine "östliche Demokratieabneigung" zu schieben, wäre einfach nur falsch. Besonders linke Zuzögler aus dem Westen bereichern die Szene.
Wie und warum und wie viel Zulauf Neonazis hier haben, darüber wird auch immer mal wieder bei einem guten Bier gerätselt. Jeder hat so seine Theorie und wahrscheinlich hat jeder so ein bisschen Recht. Ich bin noch keinem bewusst begegnet und wenn, dann hätte ich wahrscheinlich auch nicht den Mumm ihn zu fragen oder die Hoffnung auf eine gescheite Antwort.

Aber auch auf der anderen Seite, der linken Seite ist nicht alles rosig.
An sich ist die Idee von grenzenloser Gleichheit ja wirklich toll und auch ein 'gegen Nazis' kann nie falsch sein, aber dass immer auch gleich eine bestimmte Weltanschauung mit von der Partie sein muss, ist weniger angenehm.
Es geht soweit, dass in einigen Kreisen, der Begriff "Antisemitismus" völlig aus seinem eigentlichen historischen Kontext gerissen wird und nun etwas allgemeines bezeichnen soll. Es ist eine etwas ungare Mischung zwischen Antifaschismus und Kapitalismuskritik à la Marx, die zu der durchaus widersprüchlichen Theorie der "Antideutschen" geführt hat. Im Endeffekt geht es darum den Kapitalismus durch den Kapitalismus selber bzw. durch Krieg zu besiegen, was natürlich keiner so ausdrücken würde. Man traut der Arbeiterklasse keine eigene Revolution mehr zu.
Aber gerade dadurch entledigt man sich doch seiner eignen Grundlagen. Man ist kein Deut besser als die, die man doch so gern "besiegen" möchte. Im imperialistischen Zeitalter, das munter für Vergleiche herangezogen wird, wurden fremde Völker als Ungläubige beschimpft und darum bekämpft. Heute kann es durchaus sein, dass man von einem Dummkopf als Antisemit, was sowas wie unaufgeklärter Mensch bedeuten soll, bezeichnet wird, nur weil man nicht das gleiche "Glaubensbekenntnis" herunterbetet.

Natürlich ist es unfair von mir generell alle Antideutschen über einen Kamm zu scheren. Andere begnügen sich auch einfach damit die Isrealflagge zu schwenken. Und natürlich Sticker zu verteilen. Sticker sind wichtig. Ohne Sticker, keine Stickerpolitk. Ohne Stickerpolitik, keine beklebten Laternenpfähle. Ohne beklebte Laternenpfähle, kein stummer Zeuge vom "Was so abgeht in Leipzig".

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Nur als Ammerkung eines Leipzigers, es wurde und wird bestimmt verschiedenes Geld für mehr oder minder ambitionierte und nicht sehr sinnvolle Projekte in den Wind geschossen, das "playmobilartige Ritterburgentor" gehört nicht dazu, sondern wäre der Portikus des altes Bahnhofs von 1842. Mit dem Solidaritätsbeitrag hat das herlich wenig zu tun. Da würde man doch eher an das Projekt des Tunnelbaus denken ....

Fleurlinchen hat gesagt…

Lieber Leipziger,

Mir ist durchaus bewusst, dass ein Tor am Bayrischen Bahnhof schon seit längeren steht. Dass dieses Tor allerdings so herausgeputzt, wie es heute dort blinkt, die letzten 200 Jahre überlebt hat, das wage ich jedoch zu bezweifeln.

Es dient mir deshalb als gutes Beispiel, um das besondere Phänomen der Restaurierung von gerade alten Gebäuden, die allesamt vor 1948 oder am besten gleich vor 1914 entstanden sind, hervorzuheben.
Ein Vorgehen, das mich eher an mich selber erinnert und zwar immer dann, wenn ich etwas besonders unangenehmes machen muss, wie zum Beispiel zu lernen. Was mache ich als erstes? Ich räume penibelst mein Zimmer auf - der Schreibtisch würde doch eigentlich genügen und habe danach kaum mehr Energie und Zeit für meine eigentliche Aufgabe.
Hier wird nun halt die Stadt Leipzig aufgeräumt, an und für sich eine schöne Sache, aber um es ganz plump auszudrücken, so'n Playmobiltor hält nicht wirklich 'n Arzt in der Stadt.

Was den Tunnelbau angeht, das ist ja anscheinend in ganz Deutschland eine schöne Modeerscheinung. In Düsseldorf, in Berlin, in Leipzig. Und nirgendwo wirklich nützlich. Schade eigentlich.