Ich starre auf ihren Mund.
Sie ist der Quell eines Bächleins, sie ist das Bächlein selber. Es plätschert und ich höre zu. Munter kullern die Wörter heraus, den Berg herunter. Mal rauscht es, mal ist es ganz sachte, aber stetig. Ihre Worte sind Musik, schön wie junge Rehkitze sind sie, sprunghaft sind sie. Ihre Worte, wie sie an kleinen Felsen zerschlagen, sich kräuseln, übereinanderpurzeln, wieder ineinander verschmelzen. Ihre Worte sind stetig, im Fluss. Ihre Worte sind immer da, niemals versiegend.
Sie ist ein Bächlein und du bist eine Pfütze. Sie nimmt dich mit, treibt dich auseinander, voran. Du kullerst durch die Welt und lachst. Plitsch macht sie und platsch machst du. Plitsch-Platsch, Plitsch, Platsch. Und andere kommen dazu. Plitschi-di-Platschi-di singt ihr zusammen. Plitschi-di-Platsch.
Und plötzlich ist da mehr. Worte schäumen jetzt, Wellen schlagen gegeneinander, Worte reißen dich hinunter und wieder herauf. Du lachst und es gurgelt. Du klatschst gegen Zweige, Äste, Stämme, gegen Brückenpfähler, Boote, Angelschnuren. Du wirbelst Staub auf, ziehst Dreck mit. Schneller, rufe ich, schneller. Weiter, will ich, immer weiter. Ich bin die Hexe auf ihrem verfluchten Besen, kreische ich. Ich bin der Pegasus in seinem göttlichen Himmel, hauche ich. Ich.... höre Sie kaum noch, aber da ist so viel mehr um mich herum, so überaus viel mehr. Ich bin Herkules, ich bin Prometheus, ich bin die Sonne und der Mond, ich bin der Anfang und das Ende, ich bin der Morgen und der Abend, ich bin Gott! Und dann.
Dann kommt die Weite. Ein großes einstimmiges Seufzen. Wir ergießen uns in dieses Seufzen, werden zum Seufzen. Tosen im Seufzen, atmen im Seufzen, gehen unter im Seufzen. Ich bin nichts, stelle ich fest. Nur Teil einer riesengroßen Pfütze.
Ich höre Sie nicht mehr.
Er ist ein Baum.
Vermute ich zumindest. Ich sehe ihn immer am gleichen Platz stehend, seine Krone in Licht getaucht. Glaube ich zumindest. Sicher sein kann ich nicht, niemals. Wenn er ein Baum ist, dann bin ich ein Staubkorn, immer in Bewegung, immer am Rollen. Dahin wo der Wind mich hintreibt. Er steht und ich werde vorbeigeweht. Ich kann nicht anhalten, niemals still stehen, niemals hier sein.
Er steht fest wie ein Baum. Und ich muss vor, und wieder zurück. Er macht aus mir einen Derwisch, einen Kreisel. Ich drehe mich immer um meine eigene Achse. Immer um ihn herum. Er ist das Auge im Sturm, die Stille im Getöse. Ich tanze, singe und er ist der Dirigent meines Orchesters. Immer mit dem Rücken zu mir. Glaube ich, sicher sein kann ich nicht, niemals. Zu schnell sind meine Drehungen, zu hoch meine Sprünge, zu tief der Fall.
Er gibt den Takt an. Hält mich in Atem, am Atmen. Seine Hände wippen und ich werde weiter geweht. Weg von ihm, zurück zu ihm. Eine Verbeugung, ein Aufbäumen. Ich möchte jubilieren und auf dem Boden kriechen. Durch ihn, mit ihm. Ich weine. Im Takt. Ich säusele, ich frohlocke. Im Takt. Farben ändern sich, Orte ändern sich, Gesichter ändern sich. Aber er ist wie ein Baum. Immer gleich. Vermute ich zumindest. Kaum mehr als ein Umriss im Sonnenspot. Er ist Sicherheit. Hoffe ich zumindest.
Ich starre auf ihren Mund.
Sie ist ein Vöglein. Munter zwitschernd am Morgen, so voller Kraft und von Leben strotzend, dass du aufstehen, dass du wach werden musst. Sie singt den ganzen Tag. Von fremden Ländern und schönen Dingen. Sie singt und du möchtest mitsingen. Auch so ein Wort sein, das ihre Lippen verlässt. Gesummt werden, mitfliegen.
So hoch hinaus, dass dir schwindelig wird, wenn du nach unten siehst. So hoch, dass das Feld hinter deinem Haus ein kleiner brauner Fleck, dass dein Haus ein kleiner roter Punkt wird. So hoch, dass es keine Ampeln mehr gibt, nur noch die Berge am Horizont. So hoch, dass du die Sonne selbst im Winter spüren kannst. Und dann wieder hinabsteigen. So tief hinab, dass die grüne Fläche unter dir ein Wald wird. So tief, dass du die Baumkronen genau unterscheiden kannst, bis du deinen Baum wieder erkennst. So tief, dass dein Baumwipfel dir im Sommer Schatten spendet.
Ich möchte auch singen, aus Luft bunte Bilder malen. Ich atme tief ein. Ich spüre wie meine Worte sich bilden, sich meine Lunge füllt und sich mein Leben aufteilt in Jahre, Tage, Momente. Ich atme aus. Ich spüre wie sich Gefühle in Buchstaben pressen, wie alles Sinn ergibt. Ich atme noch einmal ein, öffne meinen Mund:
"Quak."
Sie ist ein Vöglein. Ich bin es nicht.
Ich bin auf den Boden gefesselt und obwohl ich doch springen kann, kann ich nicht fliegen. Und obwohl ich doch Laute erzeugen kann, kann ich nicht singen. Ich bin der perfekte Zuschauer. Den Blick nach oben gerichtet, kaum erkennbar in meinem Tümpel.
Ich applaudiere mit den Anderen. Meeresrauschen.